Einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Straßenverkehrstechnik“ über sogenannte „Geschützte Kreuzungen“ oder „protected intersections“ folgend bekamen wir eine Einladung der Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, an einem Versuch zum Thema teilzunehmen, bei dem die Sichtbeziehungen zwischen Radfahrenden und Lkw-Fahrenden auf einer aufgezeichneten Kreuzung real geprüft werden sollten. Die Veranstaltung wurde auch von verschiedenen Berliner Pressevertretern besucht.

Der Test bestand im ersten und wesentlichen Teil darin, dass ein Proband sich mit seinem Fahrrad auf einer im Design der „Geschützten Kreuzung“ auf dem Boden aufgezeichneten Kreuzung an einen Punkt der Kreuzung stellte (vor der Fahrbahn, relativ weit links auf dem Radfahrstreifen), ein Lkw auf einer Position vor der Radfurt stehen blieb und die beiden Fahrer sich über die gegenseitige Sichtbarkeit austauschten. Dabei wurde festgestellt, dass sich die beiden nicht sehen konnten.

Im Nachgang und quasi außerhalb des offiziellen Versuchs baten wir den Lkw-Fahrer, sich nochmals an die Radfurt zu stellen und gemeinsam prüften wir „tastend“ das Sichtfeld ab. Dabei stellte sich u.a. heraus, dass eine nur geringfügig weiter abgesetzte Furt zur gegenseitigen Sicht geführt hätte.

Wenige Tage später lasen wir im Berliner Tagesspiegel, dass aus der im Testfall nicht gegebenen Sicht (sowie aus dem fehlgeschlagenen Auslöseverhalten von Abbiegeassistenten) der Schluss gezogen wurde, dass das gesamte Kreuzungsdesign der „geschützten Kreuzung“ als nicht verkehrssicher eingestuft wurde, ja sogar vor der Anlage derartiger Kreuzungen gewarnt werden müsste.

Da es sich beim Testaufbau und seiner Interpretation um eine zu starke Vereinfachung mit nicht ausreichend differenzierten Schlussfolgerungen handelt, möchten wir dazu einige Fakten ergänzen, ohne deren Berücksichtigung das Thema aus unserer Sicht nicht abschließend beurteilt werden kann:

•  Es wurde nur an einer einzigen Stelle geprüft, ob der „radfahrende“ Proband (der tatsächlich nicht fuhr sondern stand) vom Lkw-Fahrer (welcher sich ebenfalls an nur genau einem Punkt befand) gesehen wird. Es ist grundsätzlich an sehr vielen anderen Stellen möglich, den Sichtkontakt herzustellen, wenn die Radverkehrsführung es zulässt. Methodisch angemessen wäre es gewesen, alle verschiedenen relevanten Konstellationen, in denen die Sicht hergestellt werden kann, sowie die Sichtbarkeit in den verschiedenen Spiegeln zu überprüfen.

•  Beim Überprüfen des Sichtfeldes unsererseits, außerhalb des Versuches, hat sich gezeigt, dass der (kleine) Bereich, in dem der „Radfahrende“ nicht sichtbar ist, nur zu erreichen ist, wenn er zuvor das direkte Sichtfeld des Lkw-Fahrers durch das Seitenfenster passiert hat. Also zuvor sichtbar gewesen sein muss.

•  Es ist folglich fraglich, ob es sich bei dem statischen Versuchsaufbau um eine für die Verkehrssicherheit entscheidende Konstellation handelt. Radfahrende erhalten an Lichtsignalanlagen in Deutschland in der Regel ein Vorlaufgrün von mehreren Sekunden, um diese Konstellation weitestgehend zu vermeiden. Für die Verkehrssicherheit ist daher insbesondere der Fall eines nachrückenden Radfahrers, der an der Furt gar nicht erst zum Stehen kommt, von entscheidender Bedeutung. Dieser Fall wurde bei der Versuchsanordnung nicht geprüft.

•  Ein Urteil über den Sinn bzw. Sicherheitsgewinn lässt die Feststellung eines toten Winkels in der direkten Sicht aus dem Seitenfenster zudem ohne Vergleich mit anderen Kreuzungsformen nicht zu. Dies ist ein entscheidender Gedanke unseres Fachartikels: es muss der Vergleich zu anderen Radverkehrsführungen gezogen werden! Alle Führungsformen haben derartige „tote Winkel“. Die entscheidende Frage ist, bei welchen Kreuzungsformen diese am häufigsten auftreten und damit die Wahrscheinlichkeit des Übersehen-Werdens am höchsten ist. Durch Prüfung nur einer Kreuzungsart kann keine abschließende Bewertung vorgenommen werden.

•  Im Nachhinein stellten wir fest, dass bei einer geringfügig weiter abgesetzten Furt die Sicht auf gesamter Breite des Radfahrstreifens gegeben ist. Die Beobachtungen zeigen, dass für die gewählte Konstellation ein höheres Absetzmaß (ca. 6 m) die direkte Sichtbarkeit vollständig hergestellt hätte.

•  Ferner erscheint das Fenster des Versuchs-Lkw kleiner als das Norm-Maß es vorgibt. Auch dies kann in diesem Grenzbereich, in dem wir uns bewegen, entscheidend sein, da ein sehr kleines Fenster das Sichtfeld stark verkleinern kann. Wünschenswert und zukunftsweisend sind große, möglichst tiefe Fenster.

•  Abschließend ist auf die vergleichsweise eng gefahrene Schleppkurve hinzuweisen, die in der entsprechenden Annäherung des Lkws gewählt wurde und deren Ergebnis hier beurteilt worden ist. Im Versuch steht der Lkw sehr nah an der Außenmarkierung, die die Fahrbahnbegrenzung darstellt, bzw. hat diese sogar teilweise überfahren (vgl. Abb 1). Dies entspräche in der Realität einem Überfahren des Bordsteins. In der Realität holen Lkw- Fahrer in der Regel dagegen zunächst aus, bevor sie abbiegen. Klar ist, dass ein wesentlicher geometrischer Einfluss besteht, der das Sichtfeld verkleinert.

•  Das Auslöseverhalten des Assistenten halten wir für die Beurteilung des betrachteten Kreuzungsdesigns für wenig maßgeblich. Ziel sollte es sein, dass auch ohne technische Hilfsmittel die Sichtbarkeit des Radfahrers bestmöglich gegeben ist.

Unser Anliegen ist es, dass die Debatte um die Sicherheit von Kreuzungsarten insbesondere für Radfahrende weiter qualifiziert geführt werden muss. Hierfür sind ergebnisoffene Untersuchungen erforderlich, die die Sicherheit der Kreuzungsarten differenziert beurteilen müssen. Der Test in Berlin kann dies nicht ausreichend fundiert ersetzen.

 

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